"Kirchenprivilegien"?
Antworten und Argumente auf Behauptungen rund um das Volksbegehren (15.-22. April 2013)
Seit 21. Jänner ist es amtlich: Vom 15.-22. April 2013 findet das sogenannte "Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien" statt.
Zur Vorgeschichte: Ab 15. März 2011 versuchte eine Personengruppe mit Unterstützung einiger Initiativen (Plattform "Betroffene kirchlicher Gewalt", die "AgnostikerInnen und AtheistInnen für ein säkulares Österreich" und der Freidenkerbund) ein "Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien" einzuleiten. Die dafür erforderlichen Unterstützungserklärungen (8.032) konnten knapp, aber zum Jahresende 2012 erreicht werden, und nach Prüfung durch das Innenministerium wurden insgesamt 8.567 Unterstützungserklärungen als gültig und somit ausreichend anerkannt.
Die Initiatoren wollen nach eigenen Angaben mit dem Volksbegehren ein Verfassungsgesetz erwirken, das "kirchliche Privilegien" abschaffen, eine "klare Trennung von Kirche und Staat" verankern und die "gigantischen Subventionen an die Kirche" streichen soll. Mit diesem Verfassungsgesetz wollen die Initiatoren offensichtlich erreichen, dass wesentliche Inhalte des Konkordats und andere religionsrechtliche Normen nicht mehr rechtlich anwendbar sind. Darüber hinaus wird die Forderung nach einem eigenen "Bundesgesetz zur Aufklärung kirchlicher Missbrauchs- und Gewaltverbrechen" erhoben. Als Begründung für das geplante Volksbegehren sprechen die Initiatoren von angeblichen "Kirchenprivilegien", die den Bildungsbereich genauso betreffen wie das Steuerrecht oder den ORF.
"Platt und undifferenziert"
Mit Zurückhaltung und Kritik reagierten bisher sowohl Experten als auch Kirchenvertreter auf das angestrebte Volksbegehren. Als "zu platt und undifferenziert" qualifizierte etwa Prof. Richard Potz von der Juristischen Fakultät der Universität Wien die Forderungen und Begründungen der Initiatoren. Zu den dort kritisierten Steuervorteilen der Kirche sagte Potz gegenüber dem "Standard", in Österreich würden neben den anerkannten Religionsgemeinschaften auch andere Körperschaften öffentlichen Rechts begünstigt. Und bei den staatlichen Zahlungen an die katholische Kirche handle es sich um im Staatsvertrag von 1955 verankerte Entschädigungen für Verluste in der Nazi-Zeit, die auch anderen Kirchen und der israelitischen Religionsgesellschaft zustehen. Deutliche Kritik äußerte auch der Bischof der Evangelischen Kirche, Michael Bünker, und Kardinal Christoph Schönborn bezeichnete das Vorhaben als "diffus und konfus".
Auffällig sind die zahlreichen, sachlich nicht haltbaren Behauptungen, die der Volksbegehrenstext enthält, sowie die intendierten Diskriminierungen für die in Österreich gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften. Gefordert wird die Abschaffung von angeblichen kirchlichen "Privilegien", ohne dabei sehen zu wollen, dass dahinter "Rechte" oder "Leistungen" der Kirche stehen, die beispielsweise in den Bereichen Bildung, Kultur, Soziales, Gesundheitswesen und Entwicklungszusammenarbeit der ganzen Gesellschaft zugutekommen.
Unsachliche Behauptungen und Diskriminierung
So wird im Text zur Einreichung des Volksbegehrens beispielsweise kritisiert, dass die "Erhaltung katholischer Privatschulen und Kindergärten überwiegend aus Steuergeldern" komme. Unberücksichtigt bleibt dabei das Faktum, dass das konfessionelle Privatschulwesen dem Staat Ausgaben erspart. Denn die kirchlichen Schulerhalter tragen selbst die Kosten für das Verwaltungspersonal, die Finanzierung der Schulbauten und die Finanzierung aller Unterrichtsmittel, mit Ausnahme der Schulbücher. Würde der Staat diese Aufgaben übernehmen, so wäre jährlich ein Mehraufwand von rund 50 Mio. Euro allein für den Betrieb der Schulen erforderlich. Und dabei sind die weit höheren Investitionskosten für den Bau neuer Gebäude noch gar nicht berücksichtigt sind, die der Staat tragen müsste, wenn er selbst die Infrastruktur für die rund 70.000 Schüler tragen müsste, die derzeit kirchliche Privatschulen besuchen.
Völlig falsch ist die Behauptung der Initiatoren, wonach religiöse Universitäten und Hochschulen "vom Staat bezahlt" werden würden. Wahr ist vielmehr, dass derartige Bildungseinrichtungen wie beispielsweise die Päpstliche Hochschule in Heiligenkreuz oder die Linzer katholische Privatuniversität von der Kirche geführt und finanziert werden. Und von ähnlicher "Qualität" ist die Behauptung, dass die Abmeldung vom katholischen Religionsunterricht dadurch erschwert werde, "indem Religionsstunden in der Mitte des Schultages stattfinden, so dass jene Kinder, die sich abmelden, nicht früher nach Hause gehen oder länger schlafen können". Dem muss entgegengehalten werden: Der Stundenplan wird durch die jeweilige Schuladministration nach sachlichen Kriterien und organisatorischen Notwendigkeiten erstellt - Kirchen und Religionsgesellschaften, die Religionsunterricht anbieten, habe darauf jedoch keinen Einfluss.
Sehr salopp wird ferner von den Initiatoren behauptet, dass kirchliche Besitztümer vielfach grundsteuerbefreit sein. "Ja, aber" ist dazu zu sagen, weil die Steuerbefreiung nur für jene Liegenschaften gilt, die dem Gottesdienst, der Seelsorge oder der Verwaltung dienen, somit für Kapellen, Kirchen und Pfarrhöfe, die allen Menschen offenstehen. Für alle anderen kirchlichen Liegenschaften (land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaften, Miet-Wohngrundstücke oder unbebaute Liegenschaften) wird die Grundsteuer bezahlt.
In ähnlicher Tonart ist die Behauptung, wonach kirchliche Güter vielfach aus Mitteln der Allgemeinheit saniert werden. "Fast 50 Prozent der Denkmalausgaben dienen der Erhaltung kirchlicher Bauten. Die Kirche ist wohlhabend genug, um für den Erhalt ihrer Besitztümer selbst aufzukommen", meinen die Initiatoren. Unerwähnt bleibt dabei der Umstand, dass die Förderungen durch das staatliche Bundesdenkmalamt auch einen Ausgleich für den starken Eingriff in die kirchlichen Eigentumsrechten darstellen. Sie bestehen beispielsweise durch staatliche Auflagen bei Renovierungen oder durch Einschränkungen in der Nutzung.
Nicht gesehen wird, dass darüber hinaus die finanziellen Förderungen geringer sind als der Staat allein durch die Mehrwertsteuer aus den kirchlichen Bauprojekten einnimmt. Die kirchlichen Leistungen sind daher für den Staat gewinnbringend, von den positiven Wirkungen für die Gesellschaft und die Wirtschaft, insbesondere den Tourismus, ganz abgesehen.
Schließlich enthält der Volksbegehrenstext eine Aufforderung zur aktiven Diskriminierung: "Die Kirche erhält als Großgrundbesitzer Millionen Euro an EU-Agrarförderungen. Hier sollte eine Obergrenze gelten." Eine derartige Benachteiligung eines ganz bestimmten Eigentümers wäre gleichheits- und daher verfassungswidrig. Bemerkenswert ist ferner, dass diese Aufforderung zur Diskriminierung die Rechtsordnung der Europäischen Union betrifft, was für ein Volksbegehren in Österreich erst- und einmalig wäre.
Verdrängung von Religion aus der Öffentlichkeit
Viele Forderungen und Behauptungen der Initiatoren des Volksbegehrens zielen offensichtlich darauf ab, dass Kirchen und Religionsgemeinsachten insgesamt möglichst in die private Sphäre zurückgedrängt werden, um nur ja nicht im öffentlichen Raum wirken zu können. Dieser Haltung entspricht auch die Behauptung, wonach der ORF per Vertrag gezwungen sei, ausführliche Religionssendungen auszustrahlen. "Diese kostenlosen und vielfach vatikannahen Belangsendungen spiegeln schon lange nicht mehr die Interessen der österreichischen Bevölkerung wider", behaupten die Initiatoren.
Auch diese Feststellung ist falsch, denn es gibt keinen "Vertrag" zwischen dem ORF und den Kirchen. Wahr ist vielmehr, dass der öffentlich-rechtliche ORF im Rahmen seines umfassenden gesetzlichen Programmauftrages die "angemessene Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften" zu beachten hat. Und der ORF tut dies in vollkommener redaktioneller Unabhängigkeit von Kirchen und Religionsgesellschaften.
Ob es um die Zuteilung von Zivildienern zu kirchlich-karitativen Einrichtungen oder die steuerliche Absetzbarkeit für Spenden für kirchliche Organisationen, die im Bereich der Armutsbekämpfung und der Entwicklungszusammenarbeit engagiert sind, geht: überall sehen darin die Initiatoren ungerechtfertigte "Privilegien" der Kirche. Unterschlagen wird das Faktum, dass in all diesen Fällen die Kirche nach sachlichen Kriterien gleich behandelt wird wie andere Institutionen, die eine vergleichbare Leistung erbringen. Durchgängig ist der offenkundige Mangel an juristischen Kenntnissen sowie die ideologische Voreingenommenheit insbesondere hinsichtlich der katholischen Kirche und dem geltenden Konkordat.
Missbrauchsfälle: Polemik an Staat und Kirche
Sehr polemisch gegenüber Staat und Kirche wird der Text des Volksbegehrens im Zusammenhang mit der Missbrauchsthematik, wo es wörtlich heißt: "Die Missbrauchs-Verbrechen der Katholischen Kirche werden nicht staatlich verfolgt, sondern deren Aufklärung wird der Kirche selbst überlassen. Im aktuellen Missbrauchsskandal müssen sich die Opfer an eine von der Kirche bestellte Kommission wenden, anstatt dass diese Fälle an die Justiz übergeben werden."
Neben dem polemischen Grundton ist darin vieles schlichtweg falsch: Strafrechtlich relevante Missbrauchshandlungen wurden und werden von den zuständigen staatliche Behörden - Staatsanwaltschaften und Strafgerichten - verfolgt. Ihre Aufklärung hat der Staat nie der Kirche überlassen. Andererseits haben die kirchlichen Stellen zahlreiche mutmaßliche Fälle von Missbrauch selbst zur Anzeige gebracht. Die allermeisten Fälle wurden von der Staatsanwaltschaft bereits geprüft.
Darüber hinaus werden Opfer nicht gezwungen, sich "an eine von der Kirche bestellte Kommission" zu wenden, wie der Text des Volksbegehrens suggeriert. Jedem Opfer steht es - wie Kardinal Christoph Schönborn als Vorsitzender der Bischofskonferenz mehrfach öffentlich betonte - natürlich frei, den Rechtsweg zu beschreiten und Forderungen vor ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Sowohl die kirchlichen Ombudsstellen als auch die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft ("Klasnic-Kommission") bieten dafür den Betroffenen kostenlos Rechtsberatung an.
Auch gibt es keine "von der Kirche bestellte Kommission". Die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft - von Kardinal Schönborn initiiert - wurde von Frau Landeshauptmann a.D. Waltraud Klasnic persönlich zusammengesetzt und einberufen. Opferschutzanwaltschaft und Opferschutzkommission agieren völlig unabhängig, die Kirche trägt aber freiwillig die Kosten dafür. Beide Einrichtungen haben zum Ziel, Opfern von Gewalt und sexuellem Missbrauch im kirchlichen Bereich rasch, unbürokratisch, angemessen und menschlich zu helfen, was bereits geschieht. Die Hilfe kommt besonders auch jenen Opfern zugute, wo eine rechtliche Verfolgung aufgrund der Verjährungsfristen nicht mehr möglich ist.
Die Öffentlichkeit wird zudem laufend über die Tätigkeit der Opferschutzkommission informiert. Die Grundsätze der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft wurden bereits durch manche Bundesländer übernommen, was die positive Vorbildwirkung der Initiative der Kirche und die unabhängige Arbeit der Opferschutzanwaltschaft unterstreicht. Das alles wird im Text des Volksbegehrens nicht erwähnt bzw. bewusst einseitig dargestellt.
Weitere Information, Zahlen, Daten und Fakten sind zu finden unter:
» Leistungen der Kirche für die Gesellschaft